Arbeitsunfähigkeit

Einer der in der Praxis des Fachanwalts für Arbeitsrecht immer wiederkehrenden Konfliktpunkte ist die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Arbeitgeber zweifeln häufig die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers an oder möchten wegen zu häufiger Arbeitsunfähigkeitszeiten eine Kündigung aussprechen. Arbeitnehmer verstoßen oft - häufig in Unkenntnis der Rechtslage - gegen ihre Anzeige- und Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit. Dabei übersehen Arbeitgeber häufig, dass eine krankheitsbedingte Kündigung meistens große Probleme aufwirft, während Verstöße gegen Anzeige- und Nachweispflichten jedenfalls eine Abmahnung rechtfertigen, nach vorheriger Abmahnung gegebenenfalls aber auch eine Kündigung rechtfertigen können.

Arbeitsunfähigkeit ist regelmäßig kein Grund für arbeitsrechtliche Konsequenzen. Sie kommt nur in Ausnahmefällen - wenn ihr Ausmaß das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung der Arbeitsvertragsparteien nachhaltig stört - als Kündigungsgrund in Betracht. Zudem stellt sich gelegentlich die Frage der Verpflichtung des Arbeitsnehmers zu gesundheitsbewahrendem Verhalten oder der Verpflichtung zum genesungsfördernden Verhalten.

 

Anzeigepflichten bei Arbeitsunfähigkeit

Häufig verletzen Arbeitnehmer die Anzeigepflichten bei Arbeitsunfähigkeit, was Veranlassung zu einer Abmahnung und - im Wiederholungsfall - ggf. auch zur verhaltensbedingten Kündigung bieten kann.

Unverzügliche "Krankmeldung"

Nach § 5 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich - d.h. ohne schuldhaftes Zögern - mitzuteilen. Das Gebot zur unverzüglichen Mitteilung wird häufig verletzt. Es genügt nicht immer, dass der Arbeitnehmer am ersten auf den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit folgenden Arbeitstag seine Arbeitsunfähigkeit telefonisch anzeigt. Erkrankt der Arbeitnehmer z.B. an einem Freitag, an dem er Urlaub hat, so muss er noch an diesem Tag den Arbeitgeber von der Arbeitsunfähigkeit unterrichten, wenn abzusehen ist, dass er am ersten für ihn regulären Arbeitstag, dem Montag, nicht arbeiten kann. In aller Regel muss die Anzeige der Arbeitsunfähigkeit am ersten Krankheitstag erfolgen, wenn dieser Tag für den Betrieb ein normaler Arbeitstag ist.

Prognose über die Dauer der Erkrankung erforderlich

Regelmäßig wird zudem die Verpflichtung verletzt, die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, schon bei seiner Krankmeldung mitzuteilen, wie lange er voraussichtlich arbeitsunfähig sein wird. War er noch nicht beim Arzt, muss er die Angabe auf Grundlage einer eigenen Prognose vornehmen, auch wenn diese unsicher ist.

Die immer wieder anzutreffende Fallkonstellation, dass ein Arbeitnehmer am Morgen eines Arbeitstages lediglich mitteilt, er sei erkrankt und gehe zunächst zum Arzt, um nachfolgend eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in die Post zu geben, die erst am 2. oder 3. Krankheitstag beim Arbeitgeber eintrifft, wird dieser Anforderung nicht gerecht und kann zum Anknüpfungspunkt für eine Abmahnung werden.

Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Gesetzliche Regelung

Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als 3 Kalendertage dauert, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Nach der gesetzlichen Regelung bedarf es daher bei einer Erkrankung bis zu einer Dauer von 3 Tagen keiner Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Der Arbeitgeber kann die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon für den ersten Krankheitstag verlangen

Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 EFZG ist der Arbeitgeber aber berechtigt, die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon für den ersten Krankheitstag zu verlangen. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass es im freien Ermessen des Arbeitgebers steht, schon für den ersten Tag einer Arbeitsunfähigkeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen. Ebenso kann der Arbeitgeber verlangen, dass ihm die Arbeitsunfähgikeitsbescheinigung früher vorgelegt wird, als nach dem Gesetz erforderlich, ggf. auch schon am ersten Tag der Krankheit, wenn dies möglich und zumutbar ist. Arbeitnehmer sollten daher nicht nur die gesetzliche Regelung im Auge haben, sondern ihren Arbeitsvertrag und auch einen auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag darauf überprüfen, ob eventuell abweichende Regelungen vorhanden sind, die die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon für den ersten Krankheitstag verlangen.

Beweiskraft von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und deren Erschütterung - Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit

Die Arbeitsgerichte messen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen immer noch einen hohen Beweiswert dafür zu, dass tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bestanden hat. Aus langjähriger praktischer Erfahrung als Fachanwalt für Arbeitsrecht kann man dies nur als äußerst fragwürdig oder von dem Bemühen getragen verstehen, diesbezügliche Beweisaufnahmen zu vermeiden. Gelegentlich gelingt es allerdings, die Beweiskraft von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern.

Beispielhaft sei auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm verwiesen.

Nach einer Auseinandersetzung mit ihrem Arbeitgeber verließ eine Arbeitnehmerin den Betrieb. In den folgenden 2 Monaten legte sie dem Arbeitgeber Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von 5 verschiedenen Ärzten vor, die ihr zeitlich nacheinander jeweils wegen anderer Beschwerden erteilt worden waren.

Der Arbeitgeber verweigerte daraufhin die Lohnfortzahlung für die bescheinigten Zeiträume und kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht. Die Arbeitnehmerin erhob hiergegen Kündigungsschutzklage und verlangte zugleich Lohnfortzahlung für die Zeit ihrer Krankheit.

Das Landesarbeitsgericht Hamm führte in seiner Entscheidung aus, den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit führe ein Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs.1 Entgeltfortzahlungsgesetz. Der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung komme auch ein hoher Beweiswert zu. Wenn der Arbeitgeber trotz Vorliegens einer solchen Bescheinigung die Arbeitsunfähigkeit bestreite, so obliege es ihm, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Diese Voraussetzung erfülle der Arbeitgeber, wenn er ernsthafte Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit darlege. Dies nahm das Landesarbeitsgericht im vorstehend geschilderten Fall an und führte dazu aus, dass eine solche Häufung von verschiedenen Krankheiten hintereinander nach einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber, festgestellt jeweils von verschiedenen Ärzten, nicht der Lebenserfahrung entspreche und ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen begründe. Wenn die Richtigkeitsvermutung der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in dieser Weise erschüttert sei, müsse der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit auf andere Weise beweisen. Diesen Beweis konnte die Klägerin im konkreten Verfahren nicht führen, weil lediglich 2 der 5 Ärzte im Prozess eine Arbeitsunfähigkeit zweifelsfrei bestätigten.

Das Landesarbeitsgericht stellte daraufhin fest, dass die außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis beendet hatte. Es führte aus, dass das Vortäuschen des Vorliegens einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Pflichtverletzung geeignet sei, als wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB herangezogen zu werden.

(Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 10.09.2003 – 18 Sa 721/03 = NZA-RR 2004, 292)

 

Entgeltfortzahlung - Beweislast für das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung

Der Arbeitnehmer hat die anspruchsbegründenden Tatsachen eines Entgeltfortzahlungsanspruchs darzulegen und zu beweisen. Ist er innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 S. 2 Entgeltfortzahlungsgesetz länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, muss er darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Wird dies vom Arbeitgeber bestritten, obliegt dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Der Arbeitnehmer hat dabei den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Die objektive Beweislast für das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung hat der Arbeitgeber zu tragen (teilweise Aufgabe von Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4.12.1985 - 5 AZR 656/84).

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.7.2005 – 5 AZR 389/04 in der ZAP 2006, 12

 

Pflicht zu genesungsförderndem Verhalten - Verstoß rechtfertigt Kündigung

Das Bundesarbeitsgericht hat eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zu genesungsförderndem Verhalten ausdrücklich anerkannt und eine wegen Verstoßes gegen diese Pflicht ausgesprochene Kündigung für wirksam befunden. Geht der Arbeitnehmer Freizeitaktivitäten nach, die mit seiner Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind, kann darin ein pflichtwidriger, zur außerordentlichen Kündigung berechtigender Verstoß gegen die vertraglichen Rücksichtnahmepflichten liegen.

Der Arbeitnehmer, ein ärztlicher Gutachter des medizinischen Dienstes einer Krankenkasse, war vom 8. September 2003 bis 16. Januar 2004 wegen einer Hirnhautentzündung arbeitsunfähig krank. Am 27. Dezember 2003 fuhr er in einen bis zum 3. Januar 2004 geplanten Skiurlaub in die Schweiz. Seinen Arbeitgeber informierte er hiervon nicht. Während eines Skikurses stürzte der Arbeitnehmer und brach sich das Schien- und Wadenbein, was zu einer erheblichen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit führte. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich.

Der Arbeitnehmer erhob gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage und machte unter anderem geltend, er habe nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten während der Arbeitsunfähigkeit verstoßen. Insbesondere hätten ihm die behandelnden Ärzte das Skifahren nicht verboten.

Das Bundesarbeitsgericht entschied, der Arbeitnehmer habe seine Pflicht zu einem gesundheitsfördernden Verhalten erheblich verletzt. Er hätte während seiner Erkrankung, die nach seinen eigenen Ausführungen unter anderem mit erheblichen Konzentrationsschwächen verbunden war, keine sportlichen Freizeitaktivitäten ausüben dürfen, die - wie das alpine Skilaufen - an die Konzentration und die allgemeine Fitness nicht unerhebliche Anforderungen stellen. Außerdem hätte er eine gesteigerte Pflicht zur Förderung des Vertragszwecks verletzt. Als Gutachter des MDK hätte es vor allem zu seinen Aufgaben gehört, das Fehlverhalten von versicherten Arbeitnehmern im Hinblick auf das bescheinigte Krankheitsbild und damit die Berechtigung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu überprüfen. Dementsprechend hätte er alles unterlassen müssen, was die Neutralität und Glaubwürdigkeit des MDK und seiner Gutachten bei den Auftraggebern in Frage stellen könnte. Durch seine Aktivitäten während der attestierten Arbeitsunfähigkeit hätte er aber gerade ein solches, dem Vertragszweck grob widersprechendes Verhalten an den Tag gelegt. Diese Pflichtverletzungen berechtigten den Arbeitgeber auch ohne Abmahnung zu einer fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund (§ 626 BGB).

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 2. März 2006 – 2 AZR 53/05 -

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